In letzter Zeit ist gelegentlich die Meinung geäußert worden, daß einige Strafprozesse zur Zeitgeschichte den Charakter von Hexenprozessen haben. Bisher gibt es allerdings noch keine eingehende Untersuchung zu der Frage, ob dieser Vergleich nur aufgestellt wird, um im politischen Kampf als Waffe zu dienen, oder ob er auf tatsächlichen ähnlichkeiten beruht. Nachfolgend sollen einige Hauptcharakteristika der mittelalterlichen Hexenprozesse erläutert und die Parallelen und Unterschiede zu den heutigen strittigen Strafprozessen aufgezeigt werden. Diese einführende Studie sollte zudem Anlaß sein, die dahinter stehenden Streitfragen einmal in einer Examensarbeit tiefergehend zu behandeln.
Papst Innozenz VIII. erließ 1487 den Malleus maleficarum, zu deutsch Hexenhammer, in dem alle Einzelheiten der Straftat ‘Hexerei’ bzw. ‘Zauberei’ niedergelegt sind.1 Wollte man alle Einzeelheiten aufführen, so müßte man Bücher dazu schreiben. Kurz gefaßt läßt sich darüber sagen, daß alle nur erdenklichen Missetaten, Unmenschlichkeiten, körperlichen wie geistige Abnormitäten und Perversitäten sowie alle erdenklichen Greuelmärchen und Phantasiegeschichten zu diesen Straftaten gehörten, auch wenn sie noch so sehr dem gesunden Menschenverstand sowie dem technisch oder naturwissenschaftlich Möglichen zuwiderliefen. Es soll aber auch vorgekommen sein, daß einfache Betrüger, Giftmischer und Mörder, also tatsächliche Straftäter, der Hexerei angeklagt wurden. Der Hexerei verdächtigt werden konnte im Prinzip jeder. Wenden wir uns den heutigen Prozessen zu:
Dennoch gibt es einen Unterschied: Von Hexerei und Zauberei is in der Neuzeit nicht die Rede, auch wenn hier und da offensichtlich das Vorgeworfene nur mit ebensolcher erklärbar wäre. Die Tatvorwürfe der Neuzeit beruhen vielmehr auf Dingen, von denen die Anklage überzeugt ist, daß sie zu den möglichen technischen und naturwissenschaftlichen Realitäten nicht im Gegensatz stehen. Während früher der Tatvorwurf direkt ‘Hexerei’ lautete, müßte man heute vielfach die ‘Hexerei’ bemühen, um den Tatvorwurf halten zu können. Schließlich sind die neuen Prozesse nur auf die vermeintlichen Straftäter von früher beschränkt sowie auf jene, die zumindest den Umfang der Tat, wenn nicht sogar die Tat als solche, abstreiten.
In seiner Bulle vom 5. Dezember 1484, veranlaßt durch die Inquisitoren Heinrich Justitor (Krämer) und Jakob Sprenger, klagt der Papst, daß ihm zu Ohrn gekommen sei, daß in Deutschland viele Personen beiderlei Geschlechts vom Glauben abgefallen seien, mit dem Teufel gottlose Bündnisse eingegangen, Menschen und Vieh großes Unheil zugefügt und auch sonst argen Schaden verursacht hätten. Dann werden die beiden Inquisitoren über das Verbrechen teuflischer Zauberei bevollmächtigt, gegen die übeltäter mit Einkerkerung und sonstigen Strafen einzuschreiten. Zauber- bzw. Hexenprozesse hatte es schon seit dem Anfang des 13. Jh. gegeben: Der um 1225 erschienene »Sachsenspiegel« setzte für Unglauben (Hexerei), Zauberei und Vergiftung die Todesstrafe, und die Augsburger Statuten von 1227 bestimmten, daß ein überführter Zauberer zum Tode durch das Rad verurteilt werde. Zeichnung von J. Piloty in »Bilderwaal deutscher Geschichte«. |
Bis zum Ende de 15. Jahrhunderts galt Hexerei in deutschen Landen nur dann als strafwürdig, wenn sie betrügerisch zu Tage trat. Erst im Laufe des 16. Jahrhunderts stzte sich die überzeugeung durch, daß ‘Hexerei’ generell eine Straftat sei.3 Die Hexerei galt ab da wie der Hochverrat, der Raub, die Falschmünzerei und die Majestätsbeleidigung als außerordentliches Verbrechen (crimen excepta). Zur Verfolgung dieser Verbrechen mußte in Gegensatz zum Akkusationsfall keine Anklage eines Beschädigten erfolgen. Das Verbrechen wurde ‘ex officio,’ also von Amts wegen, verfolgt (Offizialdelikt). Die Hexerei erhielt darüber hinaus die Stellung eines ‘Crimen atrox,’ also des schimmsten Verbrechens überhaupt, da sie im Bündnis mit dem Teufel, also dem Schlechten schlechthin, erflgte. Die Strafprozeßordnung sah vor, daß es die Hexerei ein Verbrechen, das niemals verjährte. Selbst der Leichnameiner ‘Hexe’ durfte exhhumiert und entehrt werden. Die vielen Parallelen zur Neuzeit sind nicht zu übersehen:
Art. 19: »Der Gerichtshof ist an Beweisregeln nicht gebunden.«
Art. 21: »Der Gerichtshof soll nicht Beweis für allgemein bekannte Tatsachen fordern, sondern soll sie von Amts wegen zur Kenntnis nehmen...«
Auch der Chefankläger des Militärtribunals, Jackson, führte in seiner Anklagerede aus, daß dieser Gerichtshof nicht an die üblichen einschränkenden Bestimmungen gebunden sei.5
Bei den damaligen Hexenprozessen waren Denunziationen, Zeugenaussagen und Geständnisse entscheidend. Da das Geständnis häufig als notwendig erachtet wurde, sind grausamste Foltermethoden angewendet worden, um es zu erhalten. Späterhin wandte man zunehmend feinere Methoden an, wie Suggestivfragen, falsche Versprechungen, vorgetäuschte Hinrichtungen, Spitzel unter anderem, weil dadurch bessere Erfolge zu erzielen waren als mit der Folter. Auch die Inhaftierung für Monate und Jahre unter unwürdigen Bedingungen machte die Menschen geständig. Allerdings gab es auch Verurteilungen nur auf Grund von Zeugenaussagen. Zeugen der Anklage jedoch blieben häufig anonym, wurden nicht verhört und erhielten hohe Belohnungen. Diese Zeugen mußten einen Eid ablegen, daß nur ihr Eifer für die Gerechtigkeit sie zu der Aussage trieb und sonst nichts. Selbst meineidige Belastungszeugen wurden gehört, Zeugnisse von Belastungszeugen waren immer gültig. Verstiocktes Leugnen des Angeklagten zeugte von einem festen Bund mit dem Teufel ud führte wegen Uneinsichtigkeit und mangelnder Reue zu härterer Behandlung und Strafe. Als nach einiger Zeit die Prozeßmethoden im Volk bekannt waren,wurde esimmer weniger nötig, zur Folter zu greigen, da jedermann wußte, daß nur die schnelle Reue eine milde Behandlung und ein mildes Urteil bewirken konnte. Selbst normal ablaufende Anschuldigungsprozesse ohne Folterandrohung führten in der Regel zum Schuldpruch, da die Tat als solche von Anfang an feststand und nur der genaue Tathergang festgestellt werden mußte sowie das Strafmaß festzulegen war. Vielfach wurden Mitmenschen belastet, um den eigenen Prozeß zu erleichtern.
Auch in der Beweisaufnahme gibt es auffällige Parallelen zu neueren Prozessen:
Sachbeweise, die von der Verteidigung eingebracht wurden, wurden nicht zugelassen oder aber völlig ignoriert. So beeindruckte es die Gerichte Z. B. nicht, wenn nachgewiesen werden konnte, daß die Menschen, die eine Hexe getötet haben sollte, noch lebten. Entlastungszeugen wurden selten gehört und standen in Gehahr, wegen Unterstützung einer Hexe selber angezeigt zu werden. Der Verteidiger wurde grundsätzlich gestellt und mußte ein gottesfürchtiger Mann sein. Sollte er sich mit dem Angeklagten solidarisieren, so mußte er selber mit einer Anzeige rechnen. Die Verteidiger waren verpflichtet, die geheimen Geständnisse der Angeklagten dem Gericht mitzuteilen. Ebenso erhielt die Verteidigung keine Abschrift der Prozeßakten und Dokumente. Sollte sich die Verteidigung, der Angeklagte oder ein Dritter dazu entschließen, die Hexerei als solche in Zweifel zu ziehen, so galt dies als das größte Verbrechen: »Haeresis est maxima, opera maleficorum non credere.«
Auch hier wieder Paralleles in unserer Zeit:
Erstaunt war man bei der Erforschung der Hexenprozesse, daß die Aussagen der geständigen Angeklagten oder der Belastungszeugen in ihrem Inhalt so sehr übereinstimmten. Dies betraf häufig Einzelheiten von Ort, Zeit, betroffenen Personen und den Tathergang.
Genauere Forschungen ergaben, daß diese Dinge einfach zu erklären sind. Zum einen schrieb der Hexenhammer bis ins einzelne vor, welche Fragen bei Verhören gestellt werden sollten. Die Art der Prozeßführung schließlich mußte zu immer den gleichen Angaben fürhen. Das Bild der Hexerei schließlich wurde durch den Hexenhammer und durch viele weitere Schriften ins Volk getragen. Diese Schriften wurden allgeneiner Kenntnisstand der Bevölkerung. Somit kann es nicht verwundern, daß die Zeugenaussagen ziemlich übereinstimmend waren. Details über einzelne Verbrechen schließlich sprachen sich schnell durch Gerüchte und Tratsch herum, so daßdie übereinstimmung der Aussagen auch bei Einzelheiten wenig erstaunlich ist. Aber selbst wenn es in vielen Fällen immer wieder zu unübersehbaren Widersprüchen kam, so führte dies keineswegs dazu, die Zeugenaussagen bezüglich der zentralen Aussage »es war Hexerei« in Zweifel zu ziehen. Wiederum ist heute alles glasklar:
Die Unterschiede der neuzeitlichen Prozesse zu den mittelalterlichen Hexenprozessen liegen vor allem in vier Punkten:
Die Parallelen zwischen beiden Prozeßarten sind hingegen frappierender: